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Der Auftrag

Diese Studie hatte einen langen Vorlauf. Ein erster Text von Kotti & Co., der die Perspektive einer „Rekommunali­sierung Plus“ am Kottbusser Tor unter diesem Namen for­muliert, erschien 2014 in der Broschüre „Nichts läuft hier richtig“ (Kotti & Co. et al. 2014). Mehrere Projekt­ und Ab­laufskizzen, von Jan Kuhnert erarbeitet, teilweise mit Andrej Holm, teilweise mit Sigmar Gude und mit den damaligen Staatssekretären Gothe und Lütke ­Daldrup, folgten.

Ziel dieser Konzeptionen war es, den Fehler der Privatisie­rung der GSW, die heute Teil der Deutschen Wohnen SE1 ist, durch Rekommunalisierung am Kottbusser Tor zu korrigie­ren. Jenseits der kurzfristigen Maßnahmen, wie der Aus­setzung des jährlichen Subventionsabbaus, drohen dem Sozialen Wohnungsbau vor Ort drastische Mietsteigerun­gen und Verdrängung durch Aufwertung, wenn mit dem Ende der Förderung jede besondere politische Steuerungs­möglichkeit wegfällt und die regulären Instrumente nicht greifen (GEWOS 2016:21).

Die Sanierungsmaßnahmen und damit einhergehenden Mietsteigerungen in der benachbarten Otto-­Suhr-­Siedlung durch die Deutsche Wohnen und die 2016 bekannt gewor­dene Kaufabsicht des „Neuen Kreuzberg Zentrums“2 eines durch Aufwertung und Umwandlung bekannten Inves­tors bestätigten die Sorge um die Verdrängungsgefahr. Die Entwicklungsschritte Aufwertungsgefahr – Verdrängung – Mietenexplosion nach Bindungsende sind auch im Kontext der Mietsteigerungen in Kreuzberg zu betrachten. Im Post­leitzahlengebiet 10999, zu dem auch das Kottbusser Tor ge­hört, stiegen die Angebotsmieten zwischen 2011 und 2017 um 55 Prozent. In allen Marktsegmenten liegt das Gebiet oberhalb des ohnehin stark gestiegenen Niveaus Berlins (Berlin Hyp/CBRE 2018, GSW/CBRE 2012).

Während diese Studie vorbereitet wurde, konnte das Land Berlin durch die kommunale Gewobag das Neue Kreuzberg Zentrum und damit etwa 300 Wohnungen und 100 Gewer­beeinheiten kaufen. Parallel wurde im Objekt ein Mieterrat gewählt; ein Kooperationsvertrag zwischen Gewobag und Mieterrat, der Informations­ und Beteiligungsrechte sichert und die Entwicklung zu weitergehenden Mitbestimmungs­rechten vorsieht, ist unterzeichnet. Die (Re­)Kommunalisie­rung am Kottbusser Tor ist hiermit einen wichtigen Schritt vorwärts gekommen.

Für die Mieter*innen ist der (Rück­)kauf der Häuser allein jedoch keine sichere Perspektive. Die Privatisierung der GSW hat gezeigt, wie die politischen Konjunkturen auch Bewohner*innen kommunaler Wohnungen in Gefahr brin­gen kann. Die hohen Mieten in diesem Quartier mit starker Einkommensarmut sind außerdem bereits jetzt eine enorme Belastung. Die Hausverwaltung der Gewobag wird im Neuen Kreuzberg Zentrum als starke Verschlechterung gegenüber der vorigen Situation wahrgenommen, wie diese Studie be­stätigte. Eine starke Mitbestimmung, die miethöhenrelevan­te Bewirtschaftungsentscheidungen und Schutz vor (Re­)Pri­vatisierung beinhaltet, ist folgerichtig die Forderung aus der Nachbar*innenschaft: „(Re­)Kommunalisierung Plus“.

Der Senat hat sich in seiner Koalitionsvereinbarung 2016 darauf verständigt, Modellprojekte der Mieter*innen­selbstverwaltung, wie am Kottbusser Tor angedacht und gefordert, zu unterstützen. Diese Studie stellt eine Zwische­netappe in diesem Modellprojekt dar. Sie bearbeitet die Forschungsfrage nach der Bereitschaft der Mieter*innen vor Ort, sich an der Mitbestimmung und ­verwaltung ihrer Häuser zu beteiligen.

Eine Antwort auf diese Frage muss die unterschiedlichen Gruppen im Quartier, ihre Ressourcen und Interessen berück sichtigen. Mit dieser Studie haben wir uns deshalb auch die Aufgabe gestellt, die grundsätzliche Antwort auf die Frage nach der Mieter*innenmitverwaltung (wie wir den noch nicht konkretisierten Zwischenraum von Mit­bestimmung und Selbstverwaltung in diesem Text auch nennen), ihre Themen, Formate und gesellschaftlichen Hintergründe zu qualifizieren.

  1. Im Folgenden nur „Deutsche Wohnen“. 

  2. Der Gebäudekomplex wurde als „Neues Kreuzberg Zentrum“ (NKZ) gebaut und trägt mittlerweile offiziell den Namen „Zentrum Kreuzberg / Kreuzberg Merkezi“. Der alte Name hält sich jedoch hartnäckig, sodass auch wir ihn in diesem Bericht verwenden.