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Skizze einer Folgestudie

Vor dem Hintergrund der Erhebungsergebnisse wird ein Folgeprojekt vorgeschlagen. Dieses Folgeprojekt soll die im Untersuchungsgebiet schon vorhandenen Strukturen stärken und dabei die drängendsten Themen, einzeln oder nach Sinnzusammenhang zusammengefasst, in die Diskussion bringen.

Ein Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Artikulation der unterschiedlichen Motive und Lebenslagen der Bewohner*innen, wie sie im Rahmen dieser Studie in den fünf Handlungstypen dargestellt wurden. Das betrifft vor allem zwei Aspekte:

Erstens die Ressourcenmobilisierung in der Nachbar*innenschaft. Diese Studie hat gezeigt, dass es eine große Bereitschaft gibt, sich in tatsächlichen Mitbestimmungsformaten zu engagieren. Sie hat außerdem gezeigt, dass ein Teil mit hoher Initiativkraft solche Modelle insgesamt befürwortet und daran mitarbeiten möchte, ihnen Struktur zu geben. Ein weiterer Teil wird seine persönliche Mitarbeit an solchen Modellen zumindest teilweise davon abhängig machen, inwiefern sie tatsächlich geeignet sind, die persönliche und gemeinsame Wohnsituation im Quartier zu verbessern. Die wirksamen Proteste und Aktivitäten der Mieter*innen am Kottbusser Tor der vergangenen Jahre, die eine Öffentlichkeit weit über die Stadtgrenzen hinaus haben, demonstrieren die große Bereitschaft und artikulieren in ihren verschiedenen Arbeitsbereichen diese zwei Seiten.

Zweitens betrifft das den Aspekt der angemessenen Repräsentanz der unterschiedlichen sozialen Gruppen in Mitbestimmungsformaten. Die Ansprache dieser oder jener Untergruppe ausschließlich unter dem Aspekt zu verfolgen, die engagiertesten, idealistischsten und mit den hierfür günstigsten Ressourcen ausgestatteten Nachbar*innen zusammenzubringen, würde eine ganz wesentliche Pointe übersehen, die das Quartier und die bisherigen Aktivitäten seiner Bewohner*innen ausmacht. Die Bevölkerungszusammensetzung im Quartier steht sinnbildlich für die Herausforderung, der sich hergebrachte Formate politischer und verwalterischer Beteiligung ausgesetzt sehen. Anstatt sich einzig auf diejenigen zu konzentrieren, die traditionell am leichtesten zur Beteiligung zu bewegen sind (die Aufschlüsselung der Handlungstypen nach soziodemografischen Merkmalen zeigt es eindrücklich: überdurchschnittliches Einkommen, zugezogen, vorwiegend deutschsprachig usw.) müssen Prozesse in Gang gebracht werden, die auch die Unterrepräsentierten und im Mainstream nicht Gehörten mit Anerkennung begegnen und ihnen gemäße Formate erproben. Die selbstorganisierte Praxis der letzten Jahre vor Ort hat gezeigt, wie erfolgreich diese Herangehensweise sein kann. Eine um so größere Wirkung kann erwartet werden, wenn sie im Rahmen eines Folgeprojekts verstetigt und mit formaleren Strukturen in Kontakt gebracht wird.

Durch gezielte, typenorientierte Ansprache für die verschiedenen Formate soll in diesem künftigen Studienprojekt erreicht werden, dass möglichst viele, unterschiedlich motivierte Mieter*innen, durch zunächst als Beispiel erprobte Veranstaltungsformate, in die Entwicklung der Beteiligungsthemen und -strukturen einbezogen werden. Die Studie soll also nicht an Hand eines vorab entwickelten „Modells der Mitbestimmung“ die Bereitschaft klären, ob am Kottbusser Tor eine weitgehende Partizipation „eingeführt“ wird, vielmehr soll durch ein schrittweises Vorgehen überprüft werden, wo die Interessen der unterschiedlichen Mieter*innen liegen, wie diese miteinander in Einklang zu bringen sind und wie weit jeweils die Engagementbereitschaft zur konkreten Umsetzung von Themen und Aufgaben geht.

In thematischen Veranstaltungen kann etwa die Zielrichtung des Mieter*innenengagements an durchaus polar gemeinten Themenstellungen geklärt werden: Ist das Interesse eher darauf gerichtet, dafür zu sorgen, dass die Leistungen der Vermieterin korrekt und vollständig erbracht werden (z. B. Hausreinigung) oder besteht eher ein Interesse daran, einzelne Leistungen der Hausverwaltung (etwa Reinigung oder Grünpflege etc.) selbst zu erbringen, um die Nebenkosten zu senken, Beschäftigungsmöglichkeiten für Mieter*innen im Quartier zu schaffen oder auch zur Stärkung des nachbarschaftlichen Zusammenhalts zu nutzen? Mit der hier angeregten Folgestudie lassen sich entsprechend realistische Ansatzpunkte für Mieter*innenpartizipation identifizieren und eventuell ein differenziertes Konzept entwickeln, dass auf diese unterschiedlichen Interessenlagen eingeht und die Bewohner*innen wie auch die bestehenden Gruppen, v.a. den bereits bestehenden NKZ Mieterrat und Kotti & Co., in die Konzeptentwicklung einbezieht.

Der Prozess der Entwicklung der Mitbestimmungsmodelle sollte also stufenweise an einzelnen Themen ausprobiert und die Erfahrungen jeweils soweit herausgearbeitet werden, dass darauf aufbauend entschieden werden kann, welche Formate, welche Organisationsstrukturen und welche Themen nach Abschluss der Studie konkret angegangen werden können. Das schrittweise Vorgehen ermöglicht die Ausarbeitung eines möglichst realistischen Konzeptes der Mieter*innenmitbestimmung in den Wohnanlagen am Kottbusser Tor.

Dieses zu entwickelnde Konzept muss schon wegen der unterschiedlichen Ausgangslagen der Bestände (von Gewobag angekauftes NKZ, ein kleinerer privater Fonds und die großen Bestände der Deutschen Wohnen) mit unterschiedlichen Instrumenten arbeiten. Vielleicht ist es auch möglich, eine konkrete Schrittfolge aus dieser zukünftigen Studie abzuleiten, die dann für die drei verschiedenen Eigentümerinnen zu unterschiedlichen Zeitpunkten angegangen werden.

Nach jetzigem Stand ist davon auszugehen, dass für die Mieter*innen im NKZ bereits weitergehende Stufen des schrittweisen Konzeptes anzugehen sind, als etwa bei der Deutsche Wohnen. Für das NKZ wurde bereits ein Mieterrat gewählt und dieser steht in Verhandlungen über einen Vertrag zur Regelung von Information und Beteiligung als erstem Schritt für weitergehende Mieter*innenpartizipation. Mieterrat und Gewobag haben sich im aktuellen Vertragsentwurf darauf verständigt, für diese weitergehenden Partizipationsstrukturen eine neue Vereinbarung bis Ende 2019 zu vereinbaren. Die hier skizzierte Folgestudie sollte zweckmäßigerweise die weitere Entwicklung hierbei begleiten und auswerten, sowie das Wachsen, Stabilisieren und Qualifizieren der Mieter*innenvertretung unterstützen.

Auf der Südseite, in den Beständen der Deutschen Wohnen und des Fonds in der Admiralstraße muss demgegenüber eine Perspektive entwickelt werden, die die Sprechfähigkeit der Bewohner*innen unterstützt und den Übergang in kommunales Eigentum als wichtigste Voraussetzung in die Debatte integriert.

Die hiermit vorgelegte Studie hat ein großes Maß an Engagement der Mieter*innen für ihre Interessen gegenüber den Vermieterinnen identifizieren können. Der kommunitäre und der Metatyp, mit 20 % Zustimmung der erfassten Rückläufe, sind eine zunächst ausreichend große Gruppe, um auch an weitergehende Formen der Mieter*innenpartizipation in konkreten Workshops und Veranstaltungen arbeiten zu können. Dabei müssen die anderen Gruppen der Befragten (On-Off-, Einzelkämpfer*innen- und der prekär und gut vernetzte Typ) mit insgesamt 48% in ihrem Mitarbeitsinteresse ernst genommen werden. Das Modell muss deren Motivlage und Ressourcen, die vor allem auf praktische Verbesserungen zielen, stark berücksichtigen. Mit unterschiedlichen Formaten kann an dieser Ausdifferenzierung des Interesses angeknüpft werden und für eine neue Bereitschaft zum Engagement argumentiert werden.

Wenn die Ergebnisse dieser Studie den Mieter*innen präsentiert werden, sollte das zu erwartende Interesse an weiteren Informationen, Angeboten zur Beteiligung und Austausch aufgegriffen werden können. In dieser Hinsicht wäre es wünschenswert, dass in der Präsentation der Studienresultate im Quartier ein Signal über eine mögliche Folgestudie gegeben werden kann.

Die Ergebnisse dieser Studie rechtfertigen nach Ansicht der Autor*innen, das identifizierte Interesse der Mieter*innen an weitergehender Partizipation in einer Folgestudie aufzugreifen und über die Entwicklung unterschiedlicher Formen und Organisationsstrukturen der Mieter*innenmitbestimmung den Bewohner*innen am Kottbusser Tor schließlich die Entscheidung zu ermöglichen, welche einzelnen Stufen eines Partizipationsprozesses sie zukünftig angehen möchten.