Liebe Nachbarn*innen und Mitstreiter*innen, liebe Freund*innen und stadtpolitisch Engagierte,
Als wir 2011 zusammen kamen, weil wir uns die hohen Sozialmieten nicht mehr leisten konnten, dachte niemand von uns an Selbstverwaltung. Auch der Kauf bzw. Rückkauf unserer Häuser durch das Land Berlin war damals kein Thema für uns.
Wir waren damit beschäftigt, unsere Miete aufzubringen, uns kennenzulernen und das System zu verstehen, das zwar „sozial“ heißt, aber in Wirklichkeit nur das Geld vom Staat und von uns Mieter*innen in die Taschen der Hauseigentümer*innen spült. Auf diese Weise haben die Vermieter*innen ihre Kosten schon um ein Vielfaches wieder eingestrichen. Jahrzehntelang hat sich kaum jemand dafür interessiert. Wir mussten lernen, dass weder im Fördersystem des Sozialen Wohnungsbau noch in dessen Abwicklung jemand an die Mieter*innen gedacht hat.
Mittlerweile wissen wir, dass die Zeit für uns hier abläuft. Uns bleiben nur noch wenige Jahre, bis unsere ohnehin schon kaum bezahlbaren Mieten explodieren werden, weil die Förderprogramme auslaufen und die Eigentümer*innen dieses Ende sogar noch beschleunigen. Eine Lösung für uns kann nur in einem Eigentümerwechsel liegen.
Das südliche Kottbusser Tor, wo der Großteil des Untersuchungsgebietes liegt, wurde 2004 privatisiert und gehört heute der Deutschen Wohnen. Wie in vielen anderen Quartieren beruhen auch hier die privaten Gewinne der Gegenwart auf den Leistungen und Geldern der Allgemeinheit der Vergangenheit. Für uns stellt diese Bereicherung privater Investor*innen einen großen politischen Fehler dar, der dringend korrigiert werden muss. Dazu gehört eine Reform des Fördersystems des Sozialen Wohnungsbau und die Rekommunalisierung der privatisierten Bestände.
Die Jahre des Kampfes um bezahlbare Mieten und eine sichere Zukunft am Kottbusser Tor haben uns stark gemacht. Wir sind zu Expert*innen geworden, wir haben gelernt miteinander umzugehen und befreundet zu werden. Es gibt Bücher über uns, Zeitungsartikel, Fernsehbeiträge, Ausstellungen, Dissertationen, Filme. Unser Kampf ist der Kampf für Gerechtigkeit in der post-migrantischen Gesellschaft. Gemeinsam mit vielen anderen, die für ihr Recht auf Stadt aufstehen. Die Strahlkraft, die diese Bilder einer Stadt von morgen hat, ist wichtig.
Um in unserem Viertel, das wir geprägt haben und das uns geprägt hat, wohnen bleiben zu können, darf unser Recht auf echte Mitbestimmung nicht an der Haustür enden. Wir sind froh, dass sich der Senat in seinem Koalitionsvertrag auf ein Modellprojekt der Mietermitbestimmung am Kottbusser Tor festgelegt hat. Diese Studie zeigt, dass die Nachbarschaft bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Sie zeigt auch, dass dafür neue Wege beschritten werden müssen, die die tatsächlichen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Bewohner*innen berücksichtigt. Unsere Ziele sind bezahlbare Mieten in guten Wohnungen auf Dauer. Damit das erreicht wird, müssen die Entscheidungen, die damit zu tun haben, von uns mit getroffen werden.
Kotti & Co. im Oktober 2018